WG91 – Briefentwurf an Alma Mahler
Berlin, zwischen Donnerstag, 20. Oktober und Sonntag, 6. November 1910, wahrscheinlich Ende Oktober

Die Schmerzen der
Arbeit sind die
Gebärwehen der
Männer

 Schon längst ge-
wohnt der wunder-
baren Dinge

 Wie Du mein
Gemüt erfrischt

  hast
Verschwinde mir des
Lebens Atemkraft
wenn ich mich je von
Dir zurückgewöhne

lese oft Deine ersten
Briefe, die ich besonders
liebe. In ihnen glüht
noch die ungetrübte
allererste Leidenschaft,
die noch keinen Jammer
fühlte.

 Ich denke dann immer
mit Mitleid an die anderen
Menschen im Vollgefühl
meines ungeheuren Besitzes
Uns ging das Auge
auf daß wir des Himmels
unergründliche Tiefe
maßen

 Auch in meinem
Herzen raschelts und
das Fallen der Blätter
bringt Wehmut.

die armen Menschen
die nur das sind, ich
bemitleide sie und
sie wissen nicht, daß
mein Mitleid ihren
Stolz kränkt

 Nicht weicher will
ich werden sondern härter
wie ein reißendes Tier

 wol brach ich die Ehe,
aber zuerst brach die
Ehe – mich.

 Wann werde ich meinen
Kopf \Gesicht/ zwischen Deine
Brüste legen \halten/ dürfen
um diese tobende \wilde/
Sehnsucht auszu\toben/ ###
zu lassen

Die Wichtigkeit des
Zeitraums schwindet,
ich habe warten gelernt.
ich zwinge mich, die
irdischen Mächte unter
zu kriegen.

 Ein Frösteln u
Schauern geht durch meinen
Leib – Männlichkeit
läßt sich nicht kasteien
sie quillt in irgend
einer Gestalt von Pro-
duktion hervor. Körper-
liches verwandelt der
Wille in geistiges
Dieser heiße, überselige
Sommer, nun bricht
der schwermütige Herbst
an. Schmerz u Freude

\Jauchzen u Traurigkeit/ sind meine Begleiterinnen
Kein Schlaf mir
und keine Gleichgültig-
keit, sondern ein
ewiger Wechsel dieser
zwei.
Ein Kunstwerk mit
Dir leben. dem will
ich entgegen reifen.

 Du Geheimnisvolle
Der Sinn der Kontraste
im Leben, auch mein
Glaube in der Kunst,
nichts verwaschenes
sondern klare reinliche
Scheidung, nichts unge-
löstes

 Wem fallen wie mir
so köstlich Früchte in den Schoß

an einem seligen Tage
wo unsere maßlosen
Willen auf einander
prallen werden

 Und alles Tiefe
Deiner Seele will
ich zu mir herauf-
saugen von Deinen
Lippen

______
über Dich wachen die
hingebendste der Frauen,


Apparat

Überlieferung

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Quellenbeschreibung

6 Bl. (6 b. S.) – Notizblock.

Druck

Erstveröffentlichung.

Korrespondenzstellen

keine.

Datierung

Die fehlenden Korrespondenzstellen erschweren die Datierung dieses Entwurfs. Die sehnsuchtsvollen Huldigungen, die WG AM hier darbrachte, ähneln in Inhalt und Ton WG90, der nach der Rückkehr WGs nach Berlin zwischen dem 20. und 25. Oktober 1910 entstanden ist. Als Datierung dieses Entwurfs wird daher der Zeitraum vom 20. Oktober bis hin zum Eintreffen von AMs erstem Brief aus den USA angenommen. Dieser erste Brief, AM43, wurde am 27. Oktober verfasst und traf am 6. November bei WG ein (s. WG94), weshalb als Entstehungszeitraum für den vorliegenden Entwurf 20. Oktober bis 6. November 1910 angenommen wird. Aussagekräftig ist außerdem die Formulierung Auch in meinem Herzen raschelts und das Fallen der Blätter bringt Wehmut, die auf die Jahreszeit anspielt und eine Datierung des Entwurfes Ende Oktober nahelegt.

Übertragung/Mitarbeit


(Tim Reichert)


A

Verschwinde […] Dir zurückgewöhne – Zitat aus , 1. Akt, Rittersaal (, S. 107, V. 6493f.).

B

Uns ging […] Tiefe maßen – vgl. die Wiedergabe von ‘ Gedicht „“ aus der Sammlung (1802) in AM31 vom 5. September 1910.

C

wol brach […] die Ehe – mich – Zitat aus (, S. 264, Z. 12f.).